Beim Thema Menschenrechte denken viele vermutlich eher an ferne Länder als an Deutschland. Nicht so die Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen: für sie ist Klimaschutz ein Menschenrecht, das es auch in Deutschland noch durchzusetzen gilt. Darüber, und dass „wir alle ein Recht auf Zukunft haben“ sprach Verheyen bei einem Vortrag am 30.06. in der St. Johannis-Kirche, beim diesjährigen Sommerempfang des ev.-luth. Kirchenkreises Lüneburg, vor mehreren hundert Gästen.
Für Verheyen sind Klimaklagen ein immer wichtiger werdendes Mittel, um vereinbarte Klimaziele einzuhalten. Sie führt seit vielen Jahren Klimaklagen durch, darunter die erfolgreiche, historische Klage vor dem Bundesverfassungsgericht 2021, das die Klimapolitik der damaligen Bundesregierung für verfassungswidrig erklärte und festhielt, dass Klimaschutz ein Grundrecht ist und somit einklagbar.
„Das Wort Zukunft hat seine positive Ausstrahlung verloren, mit Zukunft verbinden wir, vor allem die Älteren, die Sorge um eine überhaupt lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Kindeskinder. Grund dafür ist der Klimawandel und seine Auswirkungen, die die Lebensgrundlagen vieler Menschen zerstören“ führte die leitende Superintendentin Christine Schmid in das Thema des Vortrags ein. Doch Regierungen und Konzerne würden sich oft träge bis ignorant verhalten, wenn es darum ginge, konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Damit würden sie die Zukunft und das Wohlergehen insbesondere der Jüngeren gefährden.
Sie gestand ein, dass auch die Kirche in den letzten Jahrzehnten zu wenig für den Schutz des Klimas getan hat. Nun aber wolle der Kirchenkreis seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und beschäftige beispielsweise einen eigenen Klimaschutzmanager.
„Warum gibt es Klimaklagen? Weil wir nicht auf dem richtigen Weg sind, kein Land der Welt nimmt den Klimaschutz ausreichend ernst“ beginnt Verheyen ihren Vortrag. Mit dem Pariser Klima-Abkommen von 2015 hätten die Staaten die 1,5 Grad-Grenze bei der Erderwärmung vereinbart, heute sei man bereits 1,2 Grad angekommen. Selbst wenn alle Staaten ihre diesbezüglichen Zusagen einhielten – was sie nicht tun, auch Deutschland nicht -, würden wir bei 2,8 Grad landen. „Wir haben mit einer riesengroßen Erfüllungslücke zu tun. Ich nenne das rechtswidrig“ so Verheyen. Deswegen gehe sie vor Gericht, denn inzwischen hätten wir nur noch ein sehr kleines Zeitfenster, daher müsse auch die Rechtsprechung helfen.
Um Klimaklagen rund um den Globus geht es auch in ihrem vor kurzem erschienenen Buch „Wir alle haben ein Recht auf Zukunft“. „Wir sind in der Erdgeschichte an einer Stelle angelangt, wo es nicht mehr um die angestammten Menschenrechte geht. Es geht tatsächlich darum, dass alles miteinander verwoben ist und Menschenrechte nur noch ausgeübt werden können, überall auf Welt, wenn wir unsere Lebensgrundlagen schützen“ erläutert Verheyen. Das Buch sei eine Ermutigung, weil viele Gerichte das genauso sehen. Es gäbe ein Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt. „Die Welt wird es weiter geben, die Frage ist nur, ob es die Menschheit in dieser Form weiter geben wird. Und vor allem den Frieden“ hält Verheyen fest.
Verheyen berichtet am Beispiel einer von ihr vertretenen Klage eines peruanischen Bergführers gegen den RWE-Konzern, wie mit Klimaklagen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können und für Klimaschäden aufkommen sollen. Durch die stark zunehmende Gletscherschmelze in den tropischen Anden hätten die Menschen dort bald kein Wasser mehr, es gäbe jetzt schon ein riesiges Wasserdefizit in der Millionenstadt Lima. Die Haupt-Verursacher, wie unter anderem RWE, würden keine Verantwortung übernehmen. RWE gehört weltweit zu einem der größten CO2-Emittenten. Ganz Peru hingegen würde nur etwa so viel CO2 ausstoßen wie Lüneburg.
Verheyen geht auf weitere der weltweit geführten Klimaklagen ein, beispielsweise in Brasilien, Kolumbien und in Österreich. So gäbe es in Österreich eine Staatshaftungsklage von Landwirten wegen des Flächenverbrauchs. Die Landwirte klagen, weil durch das weitere Zubauen letztlich das Grundwasser geschädigt wird und damit die Rechte der Landwirte betroffen sind.
Im Diskussionsteil im Anschluss fragt Superintendentin Schmidt Verheyen danach, welche Rolle die Kirchen und die Gemeinden spielen müssten und was die Kirche leisten sollte. „Aus meiner Sicht haben die Kirchen eine Vorbildfunktion zu erfüllen, da ist viel zu tun und da hat die Kirche mit ihren großen Ländereien und den Gebäuden noch viel aufzuholen“ antwortet Verheyen. Ebenso müssten der Staat mit seinen Organen und auch große Unternehmen, die das Emissionsverhalten lenken können, Verantwortung übernehmen und vorangehen. „Das hätten wir wirklich früher machen können“ bedauert Schmidt.
Aus dem Publikum kommt die Frage, ob Verheyen eine Chance sieht, dass Klimaschutz zu einer kommunalen Pflichtaufgabe wird. Verheyen bestätigt, dass es wichtig und notwendig sei, dass Klimaschutz zur Pflichtaufgabe in Kommunen wird. Möglicherweise sei dafür eine Grundgesetzänderung erforderlich.
Abschließend möchte Superintendentin Schmidt noch von Verheyen wissen, ob sie sich vorkäme wie David gegen Goliath. Verheyen verneint, sie fühle sich eher privilegiert, weil sie in ihrem Berufsalltag etwas tun könne. Viele Menschen jedoch würden verzweifelt und deprimiert, weil sie das Gefühl hätten, sie könnten nichts tun. Verheyen schlägt vor, damit könne sich auch die Kirche auseinandersetzen und Möglichkeiten schaffen, damit Menschen sich wirksam fühlen.
Pressemitteilung des Klimaentscheid Lüneburg vom 02. Juli 2023.