Weil sie wissen wollte, warum es mit der Klimakrise so weit kommen konnte, hat Annika Joeres vor einigen Jahren angefangen, ihre journalistische Arbeit vor allem diesem Thema zu widmen. Heute ist sie eine von Deutschlands bekanntesten Klima-Journalistinnen. Ihr Wissen teilt sie zudem in Büchern. Jetzt war sie bei der Reihe „Klima.Wandeln.Hier“ zu Gast. 70 Zuhörerinnen und Zuhörer diskutierten mit ihr und Moderatorin Dr. Marie-Luise Braun im Museum Lüneburg.
Vor allem um das Buch „Die Klimaschmutzlobby. Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“ drehte sich der Abend. Vor drei Jahren hat Joeres das Buch gemeinsam mit Susanne Götze veröffentlicht. An Aktualität verloren hat es seither nicht. Immer noch – und offenbar stärker als je zuvor – nehmen industrielle Interessenverbände weltweit Einfluss auf Politikerinnen und Politiker, um Gesetze nach ihrem Gusto formulieren zu lassen. So auch in Deutschland, wie Annika Joeres bei der Veranstaltung verdeutlichte, die vom Klimaentscheid Lüneburg und der agentur wortgewandt organisiert wird.
Ein Beispiel: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Diese von Arbeitgeberverbänden finanzierte Lobbyorganisation ist einer der mächtigsten Bremser von Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland. Durch ihren Einfluss wurde und werde verhindert, eine adäquate Bepreisung von Kohlendioxid – und der durch das klimaschädliche Gas verursachten Schäden durchzusetzen, so Joeres. Vernetzt sei die INSM unter anderem mit Klimaleugnern in den USA. Vor wenigen Jahren veröffentlichte die INSM unter dem Titel „Zwölf Fakten zum Klimaschutz“ Informationen mit teilweise falschen Behauptungen über die Klimakrise. Diese allerdings würden in öffentlichen Diskussionen – und auch von den Medien – ungeprüft übernommen.
Joeres legt die Strategien der mächtigen Netzwerke, die Klimaschutz verhindern wollen, auf: Sie geben eigene Studien in Auftrag – mit deren Hilfe die INSM zum Beispiel die Notwendigkeit der Nord Stream Pipelines belegen wollte. Lobbyisten – aber auch Politikerinnen, Politiker und Staatssekretäre – sähen Zweifel an Erkenntnissen seriöser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um unerwünschte Gesetze zu verhindern. Zunächst verständlich und übersichtlich formulierte Gesetze werden verkompliziert. Lobbyisten sorgen dafür, dass Studien, die ihren Zielen widersprechen, geheim gehalten oder klein geredet werden. Gerade Politiker und Politikerinnen, die kein Interesse an Klimaschutzmaßnahmen haben, sind für diese Lobbyisten interessant. Sie pflegen gute Kontakte zu Staatssekretären, Abgeordneten und Ministern, um direkt Einfluss auf deren Arbeit nehmen zu können. Nicht zuletzt ermöglichen sie Politikerinnen und Politikern nach Ablauf ihrer Mandate bspw. im Bundestag, bestens dotierte Posten in Unternehmen.
Diejenigen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, kämen dagegen nicht an. Annika Joeres nennt dazu Zahlen: „Klimaschmutz-Lobbyisten steht das zehnfache des Geldes zur Verfügung wie Umweltschutzverbänden“, sagt die 45-Jährige. Konzerne haben für diese Beeinflussung ein Budget von mehreren Millionen Euro, so zeigt es das Buch. Auf die Frage aus dem Publikum, wie das alles sein könne in einer Demokratie, sagte Joeres: „Lobbyismus ist gesellschaftlich akzeptierte Korruption.“
Dass Industrieunternehmen auch über Verträge mit Städten Einfluss auf Umwelt- und Klimaschutz nehmen, hat Annika Joeres mit Kolleginnen wenige Tage vor ihrer Lesung in Lüneburg aufgezeigt. Für das unabhängige Recherchezentrum Correctiv schrieb sie über fünf Millionen Euro Schweigegeld, mit dem der Lausitzer Energiekonzern LEAG die Stadt Frankfurt/Oder dazu gebracht habe, nicht mehr über durch ihn verursachte Wasserverschmutzungen zu sprechen.
Ob Klagen ein erfolgreicher Weg seien, um dafür zu sorgen, dass Politikerinnen und Politiker endlich wirksamen Klimaschutz in die Wege leiten würden, fragte ein Gast. „Sie sind ein Baustein, um dieses Ziel zu erreichen“, antwortete Joeres und verwies auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von März 2021. Damals hatten die Richter der Bundesregierung bescheinigt, dass Teile des Klimaschutzgesetzes verfassungswidrig seien und sie dazu aufgefordert, wirksame Instrumente zu formulieren.
Auf die Frage aus dem Publikum, warum wir so wenig tun für den Klimaschutz, antwortete Marie-Luise Braun: „Weil wir Menschen Angst haben vor Veränderungen.“ Menschen hielten eher an dem fest, was sie kennen, statt sich für neue Möglichkeiten zu öffnen. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir den Ängsten Bilder entgegensetzen, die zeigen, wie schön es werden kann durch Klimaschutz“, ergänzte Braun und nannte Beispiele: Sobald es darum gehe, Maßnahmen für einen klimafreundlichen Verkehr in die Wege zu leiten, würden viele Menschen protestieren. Wenn diese Maßnahmen umgesetzt seien, gibt es diesen Protest nicht mehr und die Menschen genießen die bessere Lebensqualität. Umso wichtiger seien Politikerinnen und Politiker, die vorübergehenden Gegenwind in der Mobilitätswende aushielten.
Am Ende stellte Joeres noch das Buch „Durstiges Land. Wie wir leben, wenn das Wasser knapp wird“ vor, das sie gemeinsam mit Susanne Götze am 1. August veröffentlicht hat. Darin eröffnen die beiden anhand von fiktiven Personen jeweils zwei Szenarien: Wie sie leben werden, wenn wir einfach so weiter machen. Und wie sie leben werden, wenn wir Klimaschutz endlich ernst nehmen. „Wir wollten auch gern mal ein Buch schreiben, mit einem optimistischen Ausblick“, erläutert Joeres.
Annika Joeres: 1978 in Herten geboren, lebt die Klima-Journalistin heute in Südfrankreich. Dort arbeitet sie unter anderem als Frankreich-Korrespondentin für die Wochenzeitung „Die Zeit“ und für die Rechercheplattform Correctiv. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Joeres arbeitet auch als Autorin und hat gemeinsam mit Susanne Götze drei Bücher über die Klimakrise publiziert.
„Klima.Wandeln.Hier“ ist eine Kooperation von: Klimaentscheid Lüneburg, agentur wortgewandt, Stiftung Leben & Umwelt/ Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, 23grad e.V. und JANUN Lüneburg e.V.
Pressemitteilung des Klimaentscheid Lüneburg vom 09. Oktober 2023.