Welche Mobilität Lüneburg attraktiver macht – Bestseller-Autorin Katja Diehl zu Gast beim Klimaentscheid

Wie sieht eine gleichberechtige und klimafreundliche Mobilität für alle aus – dazu las die
Mobilitätsexpertin Katja Diehl am 30.06. im Wasserturm aus ihrem Buch „Autokorrektur“ und
diskutierte mit den Gästen: Prof. Dr. Peter Pez, Verkehrswissenschaftler der Leuphana Universität;
Markus Moßmann, Dezernent für Nachhaltigkeit, Sicherheit und Recht Lüneburg; Jürgen
Krumböhmer, Erster Kreisrat im Landkreis Lüneburg. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr.
Marie-Luise Braun von der agentur wortgewandt. Das Interesse war groß, mit 70 Zuschauer*innen
waren alle verfügbaren Plätze im Wasserturm belegt.

Katja Diehl war jahrelang in der Mobilitäts- und Logistikbranche tätig; sie berät die österreichische
Klimaschutzministerin und den Verkehrsminister von Baden-Württemberg.
Wie mit Widerständen zu politischen Beschlüssen umgegangen werden soll und dass alle Menschen
mitgenommen werden müssen, waren zwei der diskutierten Themen, dazu später mehr.
Für ihr Buch hat Diehl Menschen befragt, ob sie Auto fahren wollen – oder müssen, weil es keine
gute Alternative gibt. Diehl möchte, dass alle Menschen ein gutes Leben, auch ohne eigenes Auto
führen können; auch diejenigen, die keinen Führerschein haben – dass sind in Deutschland 13
Millionen Menschen – sowie die, die aus verschiedenen Gründen nicht Auto fahren können oder
wollen. Dafür müssen die Städte und das Land anders ausgerichtet werden. Alternativen zum Auto
müssen attraktiver und verfügbarer werden, besonders auf dem Land, wo ein Leben ohne Auto
häufig nicht möglich ist.

„Ich möchte in einer Stadt wohnen, die versteht, dass Lebensqualität nicht am ‚schnell-durch-die-Stadt-fahren-und billig-Parken‘ gemessen werden sollte, sondern an der Freude, in ihr spazieren zu
gehen, Menschen zu begegnen, durchzuatmen und die Ruhe zu genießen“ schreibt Diehl. Die
Attraktivität einer Stadt, wie auch die Umsätze der Händler*innen, würden steigen mit dem
Wunsch, in der Stadt verweilen zu wollen.
Die Stadt solle den Menschen zurückgegeben werden – so wie es in u.a. in Paris, Helsinki, Wien und
Kopenhagen schon geschieht. Alles, was mit Muskelkraft bewegt wird, müsse Vorrang erhalten. Sie stellt fest, dass „die Privilegien, die das Auto über Jahrzehnte erhalten hat, heute als Recht
missdeutet werden“.

 

Im Anschluss an den Lesungsteil erläuterte Moßmann, was für Lüneburg geplant ist. Bereits auf den
Weg gebracht sei die Erstellung eines Gutachtens, das in zwei Jahren fertig sein soll. Darin solle
aufgezeigt werden, mit welchen konkreten Maßnahmen Klimaneutralität im Verkehrsbereich
erreicht werden kann. Diese Maßnahmen würden ab 2025 umgesetzt. In den nächsten 2 Jahren
würden zunächst auch einige der von Pez vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt.

Bei den geplanten Maßnahmen des Landkreises führte Krumböhmer die Reaktivierung von
Bahnstrecken und den Ausbau von Radschnellwegen an.

Beide, Moßmann und Krumböhmer, wiesen darauf hin, dass es bei vielen Planungen Widerstände
aus der Bevölkerung gibt. Dem wollen sie mit besserer Kommunikation und mehr Bürgerbeteiligung
entgegenkommen. Hierzu kommentierte Diehl, dass die österreichische Klimaschutzministerin
diese Widerstände aushielte, indem sie ganz klar das in Paris unterschriebene 1,5-Grad-Ziel verfolge
und sage, dass sei ihr Ziel und ihr politischer Auftrag. Diehl zufolge kann es nicht sein, dass
diejenigen, die Angst haben Privilegien zu verlieren, den Kurs bestimmen können.

In Lüneburg gibt es den einhelligen, politischen Beschluss, bis 2030 klimaneutral zu werden. Auf die
Frage der Moderatorin Braun, wie stark dafür der Autoverkehr in Lüneburg reduziert werden muss,
antwortete Moßmann, er könne „die Zahl nicht beziffern“.In der kürzlich vorgestellten CO2-Bilanz für Lüneburg gaben Expert*innen an, der motorisierte Individualverkehr müsse um 40 – 60 % reduziert werden.

Bei der Diskussion mit dem Publikum ging es u.a. darum, was die Mobilitätswende für „die
Schwächeren“ bedeutet. Einigkeit bestand darin, dass es keine Nachteile geben wird für Menschen,
die auf ihr Auto angewiesen sind, z.B. Ältere oder Menschen mit Einschränkungen. Diehl betonte
aber, dass man auch die Menschen nicht verlieren darf, die auf Veränderungen warten; gemeint
sind schwächere Verkehrsteilnehmer wie Kinder, Rollstuhlfahrer*innen, Menschen mit Rollator,
Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Menschen ohne Auto.

Pez befasst sich seit Jahrzehnten mit der Verkehrssituation in Lüneburg und hat aktuell ein 10-
Punkte-Papier für die Stadt entwickelt, mit sofort und ohne großen finanziellen Aufwand
umsetzbaren Maßnahmen. Er berichtet von einer 2021 in Lüneburg durchgeführten
Verkehrszählung. Dabei wurde ermittelt, dass 2/3 (65 %) der Wege mit dem Auto gefahren werden.
Anhand von Studien hat Pez daraus errechnet, „dass wir in Lüneburg den Anteil des motorisierten
Individualverkehrs von heute 2/3 auf 40 % oder sogar darunter senken könnten“, das müsse die
Zielmarke sein. Dies sei zum einen durch Förderstrategien (Bahnstreckenreaktivierung, ÖPNV, usw.) und vor allem durch den Abbau von Barrieren für den Radverkehr erreichbar. Zudem müssten Rad
und ÖPNV mehr Flächen bekommen, und zwar durch Einbahnstraßen für nahezu parallele
Straßenzüge, wie z.B. die Soltauer und die Uelzener Straße. Damit kämen klimafreundliche
Verkehrsmittel schneller voran. Autofahrer*innen würden damit kleine Umwege aufgebürdet, was
dazu führe, dass einige bei der Wahl des Verkehrsmittels umdenken.
Pez erwähnt noch, dass schon 1993, als die Fußgängerzonen eingerichtet worden sind, argumentiert
wurde, das sei der Ruin für den Handel – dies sei jedoch komplett ausgeblieben, stattdessen gibt es
jetzt ein attraktives Stadtzentrum mit einer autoarmen Altstadt. 

Der Abend mit Katja Diehl war der Auftakt der Reihe Klima.Wandeln.Hier, in der gezeigt werden soll,
wie man hier vor Ort für mehr Klimaschutz aktiv werden kann. In der nächsten Veranstaltung am
21.07. liest Nick Reimer aus dem Buch „Deutschland 2050“, in der Avenir Rösterei, Ilmenaugarten
137 c, Beginn ist um 19:00 Uhr. Weitere Veranstaltungen behandeln die Themen Energie, Ernährung
und die Verantwortung der Medien in der Klimakrise. Die Termine gibt der Klimaentscheid in Kürze
bekannt.Initiatorin der Veranstaltungsreihe ist Dr. Marie-Luise Braun, die Veranstaltungen werden vomKlimaentscheid Lüneburg organisiert. Kooperationspartner*innen der Reihe sind die Stiftung Leben& Umwelt /Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, JANUN Lüneburg e.V. und die agentur wortgewandt