Tiefgreifende Änderungen in der Wirtschaft und in der Gesellschaft nötig für eine erträgliche Zukunft auf unserem Planeten (23.08.2022)

Ernst Ulrich von Weizsäcker wirkte gespalten: Als ehemaliger Ko-Präsident des Club of Rome setzt er sich seit Jahrzehnten für mehr Klimaschutz ein und hat mehrere Bücher zur Klimakrise verfasst. Als SPD-Politiker hingegen wirft er offenbar seine Ideale über Bord: „Eine Partei, die sich für guten Klimaschutz einsetzt, verliert Stimmen“, antwortet er auf die Frage eines SPD-Mitglieds danach, „wie wir es in Deutschland mit dem Klimaschutz auf die Reihe bekommen“. Dies war das Thema des Abends: Was ist zu tun, wenn das Klima gefährdet ist – und wie kann Energie wieder bezahlbar werden? Zu der von der SPD organisierten und von Andrea Schroeder-Ehlers moderierten Veranstaltung am 23. August waren etwa 70 Gäste gekommen. Neben weiteren SPD-Politiker:innen und SPD–Mitgliedern hatten sich auch Mitglieder von den Grünen sowie von den Initiativen Radentscheid Lüneburg und Klimaentscheid Lüneburg eingefunden.
Für den Klimaentscheid war es insgesamt eine sehr interessante Veranstaltung, wenn auch der lokale Bezug etwas zu kurz kam und einige Äußerungen zu Irritationen führten. Dazu später mehr.

Zu Beginn trug von Weizsäcker seine Vorschläge vor. Er kritisierte zunächst, dass Energie in den vergangenen Jahrzehnten immer billiger geworden sei. Dies habe dazu geführt, dass sehr viel Energie verschwendet wird. Gleichzeitig sei der hohe (fossile) Energieverbrauch verantwortlich für den Klimawandel und die dadurch verursachten Schäden. Er plädiert schon seit langem dafür, dass Energiepreise der „ökologischen Wahrheit“ entsprechen sollten. Dies bedeutet, dass vom Energieverbrauch verursachte Naturschäden eingepreist werden müssen.

Von großem Interesse für ihn ist Energieeffizienz. Er nennt zwei Beispiele: den Bau von Passivhäusern, die fast keine Heizkosten verursachen; sowie den Einsatz von LED-Lampen, die kaum Energie verbrauchen. Ein Problem bei LED-Lampen sei jedoch, dass, weil es wenig kostet, sie sehr viel häufiger eingesetzt werden und dadurch der Effizienzvorteil schwindet. Der so genannte Rebound-Effekt tritt ein. Weizsäcker resümiert, dass „Energieeffizienz nicht nur durch Technologien, sondern auch durch die Art der Nutzung“ beeinflusst wird. Es seien mehr Anreize für eine wesentlich bessere Energieeffizienz notwendig.

Von Weizsäcker verwies auf sein aktuelles Buch mit dem Titel „So reicht das nicht“, in dem es um „Kausalketten für eine gute Klimapolitik geht“. Darin spricht er sich für eine andere Klima-Außenpolitik aus. Weizsäcker fordert, dass „die Industrieländer dafür sorgen müssen, dass alle Länder mitziehen“. Dazu müssten die bei Klimakonferenzen versprochenen, 100 Milliarden Dollar jährlich an Entwicklungsländer gezahlt werden. „Die Industrieländer haben ihr CO2-Restbudget fast aufgebraucht, viele andere Länder, insbesondere Entwicklungsländer, haben das ihnen zugerechnete CO2-Restbudget noch nicht verbraucht“, argumentiert Weizsäcker. „Wir müssen uns nicht nur um unseren Anteil an den CO2-Emissionen kümmern, sondern auch andere Länder dazu bewegen“.

Weizsäcker ist optimistisch „Fotovoltaik-Strom ist heute billiger als Kohlestrom, d.h. wir können das stemmen“. Auch andere Länder sollten auf erneuerbare Energien setzen statt auf Atomenergie.

Weizsäcker schließt seinen Vortrag mit Forderungen nach einer neuen Ökonomie und einer neuen Aufklärung. Er ergänzt „billig ist gefährlich“, weil es dazu führt, dass Ressourcen verschwendet werden. In seinem Buch formuliert er es so: „Realistisch muss angenommen werden, dass nur sehr tief greifende Änderungen in der Ökonomie, ja sogar in der menschlichen Zivilisation dazu führen können, eine einigermaßen erträgliche Zukunft für unseren Planeten durchzusetzen.“

Im anschließenden Diskussionsteil gab es konkrete Fragen, was wir in Niedersachsen für mehr Klimaschutz tun können. Zu der eingangs zitierten Antwort ergänzte Weizsäcker noch: „Viele Menschen wollen das (den Klimaschutz) nicht. Daher sind überzeugende Abgeordnete wichtig“. Auch die Industrie sei gefordert.

Dirk Jensen aus Bleckede wollte wissen, „warum der Kreistag die Genehmigung von Solaranlagen auf Freiflächen ausbremst“. Schroeder-Ehlers, selbst im Kreistag vertreten, verwies in ihrer Antwort auf ein derzeit erstelltes Landesgesetz mit neuen Leitlinien für den Bau solcher Anlagen. Weizsäcker merkte an, dass Solaranlagen auf Freiflächen nicht mit landwirtschaftlicher Nutzung konkurrieren müssen, oft könne beides verbunden werden, indem unterhalb von hochgestellten Solaranlagen landwirtschaftliche Produkte angebaut werden.

Markus Zender vom Radentscheid äußerte wenig Verständnis für große schwere Autos „die häufig nur für Kurzstrecken genutzt werden und in denen nur eine Person sitzt“, was eine erhebliche Energieverschwendung sei. Er fordert: „Politik muss mutiger werden, auch gegen Widerstände, und mehr für den Radverkehr und den ÖPNV tun“. In Weizsäckers Antwort kam dann wieder die Rolle des Politikers, statt des Klimaschützers, zum Vorschein: „Demokratie zeichnet sich nicht durch Bevorzugung von ÖPNV aus“.

Dazu im Nachgang befragt, ist Kristin Jordan vom Klimaentscheid befremdet: „Die SPD setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein – dazu gehört auch gerechte Mobilität. Millionen Menschen in Deutschland können oder wollen nicht Auto fahren. Daher müssen Privilegien für Autofahrende zurückgenommen werden, zugunsten von klimafreundlicher und gerechter Verkehrsinfrastruktur und besserem ÖPNV“. Angesichts der aktuellen Energieprobleme sei nicht nachvollziehbar, warum sich weiterhin tonnenschwere Autos in Städten stauen, anstatt durch den Umstieg auf energiearme Verkehrsmittel zur Energieeinsparung beizutragen. „Hierfür sind auch weitere Anreize seitens der Lokalpolitik nötig, beispielsweise durch regelmäßige, autofreie Sonntage. Die damit verbundene bessere Lebensqualität in der Stadt wird dann für viele Menschen direkt spürbar und erfahrbar“, so Jordan.

Einen wichtigen Aspekt hat Karla Bauszus vom Klimaentscheid in der Veranstaltung vermisst: „Die nötigen Veränderungen bergen doch auch große Chancen für Deutschland. Unsere Wirtschaft kann führend werden bei klimafreundlichen Zukunftstechnologien, hunderttausende neue Arbeitsplätze können entstehen.“ Und eine umweltverträgliche Landwirtschaft, beispielsweise, würde nicht nur dem Wohl von Mensch, Tier, Natur und Klima dienen, sondern könnte auch Vorbild für andere Länder sein. „Die Politik sollte die positiven Seiten der Veränderungen mehr herausstellen. Wir brauchen gemeinsame Narrative, also ein Zukunftsbild von einem klimaneutralen Lüneburg und Deutschland“, wünscht sich Bauszus.